ESTR – der Geldmarktzins der EZB

Die Europäische Zentralbank hat ihre Lehren aus den seit Jahren anhaltenden Skandalen um die Manipulation der Leitzinsen durch die Banken gezogen. Bis zum 2. Oktober 2019 will das Institut mit einem eigenen Leitzins an den Markt gehen, der als Ersatz für LIBOR und EURIBOR dienen soll. Was waren die Ursachen im Detail und was verbirgt sich hinter ESTR? Die Zentralbank

Das Wichtigste auf einen Blick:

  • EZB führt am 2. Oktober 2019 den eigenen Referenzzins ESTR als Alternative zu LIBOR ein.
  • Konsequenz aus den Zinsmanipulationen durch Großbanken.
  • In der Testphase steht Pre-ESTR den Banken als Testobjekt zur Verfügung.

Was sind LIBOR und EURIBOR?

Bei beiden Zinssätzen handelt es sich um Referenzzinssätze. Der LIBOR (London Interbank Offered Rate) gilt als Referenzzinssatz für Gelder, welche sich die Banken über Nacht, für 1, 3, 6 und 12 Monate gegenseitig leihen.

Zwischen 12 und 18 Großbanken geben jeden Tag zwischen 11:00 Uhr und 11:20 ihre Zinssätze dafür bekannt. Daraus ergibt sich dann der Mittelwert, der LIBOR.

Der EURIBOR (European Interbank Offered Rate) gilt als Referenzzins für Termingelder. Insgesamt gibt es beim EURIBOR acht unterschiedliche Zinssätze.

Die Zinssätze ergeben sich zum einen aus Angebot und Nachfrage, zum anderen fließen aber auch Faktoren wie Bonität der Teilnehmer, aktuelle Kaufkraft, das Vertrauen in die anderen Partner oder Wirtschaftswachstum ein.

Welche Auswirkungen haben Manipulationen?

Beide Referenzzinssätze wirken sich nicht nur auf das Interbankengeschäft, sondern auch direkt auf Verbraucher aus. So sind einige Kredite direkt an die Entwicklung des LIBOR gekoppelt. Wird der LIBOR durch Manipulation heraufgesetzt, zahlen Verbraucher höhere Zinsen als eigentlich notwendig wäre.

Die Teilnehmer an den Manipulationen sind von einem geringeren Zinsänderungsrisiko betroffen, da sie wissen, wie sich die Zinsen „entwickeln“ werden.

Selbst gesteuerte Zinssätze, die sich nicht aus Angebot und Nachfrage ergeben, lassen kontrollierte Spekulationsgeschäfte, ähnlich des Insiderhandels mit Aktien, zu.

Am Ende bleibt die Tatsache, dass manipulierte Zinsen den Verursachern zu Vorteilen verhelfen, die zu Lasten Dritter gehen und nicht mehr der Marktwirtschaft unterliegen.

Das Jahr 2011 wurde teuer für die Banken

Die Europäische Kommission hatte im Jahr 2011 erstmalig hinreichende Verdachtsmomente auf eine Zinsmanipulation beim EURIBOR. Eine Durchsuchung der Geschäftsräume war die Folge. Im Juni 2012 konnte der Barclay Bank nachgewiesen werden, dass sie den LIBOR manipuliert hatte. Hintergrund war, dass die von der Bank genannten Zinsen nicht den Tatsachen entsprachen, sondern frei erfunden waren. Es kam zu einer Lawine in Europa, den USA und Japan. Die Behörden vermuteten, dass bis zu 20 Institute involviert waren. Am 12. Juli 2012 standen als Hauptverdächtige auf jeden Fall

  • Bank of America
  • Barclays
  • Mitsubishi-UFJ
  • Citi
  • Credit Suisse
  • Deutsche Bank
  • HSBC
  • JP Morgan
  • Lloyds
  • Royal Bank of Scotland
  • UBS

fest. Der bis dahin verursachte Schaden wurde von Experten mit mindestens 17,1 Milliarden Euro beziffert. Möglicherweise war sogar die englische Notenbank darüber informiert und eingebunden (1). Besonders betroffen waren amerikanische Immobilienbesitzer, deren Zinsen an den überhöhten LIBOR-Zins gekoppelt war.

Milliardenstrafen als Folge

Die betroffenen Banken suchten ihr Heil zum großen Teil in außergerichtlichen Vergleichen mit England und den USA. Die Liste der Strafen liest sich jedoch abenteuerlich:

  • Barclays Bank zahlte 360 Millionen Euro
  • Royal Bank of Scotland (RBS) 455 Millionen Euro
  • Schweizer UBS 1,2 Milliarden Euro
  • Rabobank 774 Millionen Euro

Im Dezember 2013 verhängte die EU-Kommission eine Rekordstrafe gegen mehrere Banken zusammen (2):

Im Einzelnen mussten zahlen

  • Deutsche Bank 725 Millionen Euro Strafe
  • Société Générale fast 446 Millionen Euro
  • Royal Bank of Scotland 391 Millionen Euro
  • Citigroup 80 Millionen Euro
  • JPMorgan Chase 70 Millionen Euro
  • RP Martin 250.000 Euro

Für die Deutsche Bank kam es aber noch dicker. Gemäß Selbsteinschätzung damals eines der führenden globalen Geldhäuser übernahm sie auch bei den Strafzahlungen die Führung. Im Rahmen einer Einigung mit englischen und amerikanischen Behörden zahlte sie weitere 2,1 Milliarden US-Dollar. Damit aber noch nicht genug. Im Jahr 2017 zog die Deutsche Bank einen Schlussstrich und einigte sich mit US-Behörden auf Grund von Vorwürfen der Manipulation des EURIBOR auf eine weitere Zahlung in Höhe von 170 Millionen US-Dollar, um weitere Verfahren zu vermeiden. (3)

Zeit für ESTR

Die Zeit der Aufarbeitung der Manipulationen in den Jahren 2005 bis 2011 dauerte immerhin bis 2017. Dieses Ergebnis kann für die Europäische Zentralbank ebenso wenig zufriedenstellend sein, wie die Anfälligkeit der Referenzzinssätze für Manipulationen. Die Lösung der Banker aus Brüssel und vom Main sieht eine weitere staatliche Intervention vor, die Schaffung eines von der Zentralbank kontrollierten Referenzzinses.

Das Kürzel ESTR steht übrigens für "Euro Short Term Rate". In der ersten Version war die "Euro Short Term Rate" noch als ESTER abgekürzt worden (6). Die Grundlage für ESTR basiert auf allen im Rahmen der Geldmarktstatistik gemeldeten Transaktionen aller Banken. Das Ergebnis steht am Folgetag um 9:00 Uhr bereit.

Darüber hinaus soll ESTR nicht nur die "fälschungssichere" Alternative zu LIBOR und EURIBOR darstellen, sondern auch den EONIA (Euro OverNight Index Average), den Zinssatz für Übernachtgeldleihe, ablösen. Dieser ist ab 2020 nicht mehr mit der Benchmark-Verordnung der EU vereinbar.

Der Entscheidung, ESTR einzuführen, folgten zwei öffentliche Anhörungen. Die erste fand vom 28. November 2017 bis zum 12. Januar 2018 statt, die zweite vom 15. März bis zum 20. April 2018. Bis zur endgültigen Einführung von ESTR am 2. Oktober 2019 steht den Marktteilnehmern das sogenannte Pre-ESTR zur Verfügung. Es basiert auf den identischen Kalkulationsgrundlagen wie ESTR, hat aber zunächst nur die Aufgabe, von den Banken getestet zu werden (4).

Der Zeitplan

  • 01.01.2015:Regulation (EU) No 1333/2014 (MMSR Regulation) als Grundlage für die Sammlung von Marktdaten zu Geldmarkttransaktionen tritt in Kraft.
  • 01.07.2016: Die reguläre Datensammlung, welche für Pre-ESTR die Grundlage bildet, beginnt.
  • 21.09.2017: Die Europäische Zentralbank teilt mit, dass sie einen eigenen Referenzzins, ESTR, einführen wird.
  • 28.11.2017 – 12.01.2018: Erste öffentliche Anhörung zu ESTR
  • 15.03.2018 – 20.04.2018: Zweite öffentliche Anhörung
  • 28.06.2018: EZB veröffentlicht Methodologie zur Datenerhebung für ESTR (5)
  • 02.10.2019: Geplante Einführung von ESTR
  • Ende 2021: Ablösung des EONIA (6)
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